Björn Dahlem
Der Niemehrmorgenraum (Time Machine)

21. Okt. – 12. Nov. 2022
Pop-up Location: Schönewald

Copyright the artist; Sies + Höke, Düsseldorf; Photo Tino Kukulies, Düsseldorf

Die Ausstellung Der Niemehrmorgenraum (Time Machine) ist die dritte Station der Werkserie 23 Meisenkästen für unsere Nachbarplaneten, die Björn Dahlem 2003 in New York begonnen hat. Herzstück jeder Skulptur ist ein futuristischer Entwurf für einen utopischen Meisenkasten. Diese Meisenkästen sollen in ferner Zukunft, wenn die Menschen das Weltall besiedeln, gebaut und auf unseren Nachbarplaneten aufgestellt werden, um auch dort den Fortbestand der Meise - als biologischem Sinnbild für künstlerischen Impetus und Anarchie - ein sicheres Überleben und Fortkommen zu garantieren. Allen Vitrinen sind außer den Meisenkastenmodellen Objekte und Skulpturen beigegeben, die dem Temperament des jeweiligen Bestimmungsplaneten zugeordnet sind. Nachdem die Besiedelung des Mars durch den Menschen mittlerweile technisch in greifbare Nähe gerückt ist und Dahlem in vergangenen Ausstellungen bereits Modelle für alle Planeten unseres Sonnensystems gezeigt hat, widmet er sich nun den Exoplaneten und Monden des Deep Space. Dazu gehören Second Earth (Caspar David Friedrich), An Unknown Planet in Eridanus Supervoid (Claus), New Saturn (Melancolia Deep Field), die New Moons (Nix), der Neu Jupiter (Meisenmensch) und der Pubertäts- und Popmusikplanet Britney.

Die letzte Zukunft, die wir haben

von Frédéric Schwilden

Die Gegenwart besteht aus einem Gefühl von Zukunft. Aber in der tatsächlichen Zukunft sollen wir wie in der Vergangenheit leben. Die Utopie von Raumschiffen und Raketen ist abgeschafft. Die neue Utopie ist nicht mehr als Bauern- und Landschaftsmalerei.

Gerade noch aktivieren wir surrende Elektroroller mit unseren Telefonen und gleiten wie Kinder durch die Welt. Und der Kühlschrank bestellt die Soylent-Green-Soya-Milch automatisch nach. Aber morgen schon sollen wir mit dem Lastenrad durch eine Metropole fahren, die wie ein skandinavisches Dorf um neunzehnhundert während einer Hungersnot aussieht – verkehrsberuhigt als Begegnungszone für Menschen in klimaneutralen und lokal hergestellten Leinenhemden, die sich im Tauschhandel versuchen. Die Welt ist in Ordnung, nur die Zeit ist kaputt.

Björn Dahlem glaubt noch an eine Zukunft der Zukunft. In seinem Niemehrmorgenraum entwirft er die endgültige, die letzte Utopie aller Utopien, die letzte Zukunft schlechthin. Danach wird es nichts mehr geben. Keinen Ort. Und keine Zeit. Seine Arbeiten rufen im herrlichen neo-Futur: „ich will den Warp-Antrieb, die Ultra-Zukunft, die Endmaisenkästen.“

Dahlem beschäftigt sich schon lange mit Meisen. In seiner Endzukunft werden die Meisen die verbliebenen Planeten unseres Sonnensystems kolonialisieren. In der utopischen Architektur seiner Maisenkästen werden sie leben und herrschen.

Die Meise war immer schon Zentrum, immer schon Zukunft. An ihr konnte man, war man nur aufmerksam genug, das endgültige Futur des Menschen erkennen. Es war nur eine kleine Meldung im Jahr 2009. „Killer-Meisen töten Fledermäuse“, schrieb der „Spiegel“ kurz und knapp. Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts hatten beobachtet, dass Meisen im Winter, wenn die Nahrung knapp wird, in Schlafstätten von Fledermäusen eindringen. Die Vögel töten die in Hibernation verharrenden Fledermäuse und essen sie.

In den letzten Jahren sind die Schnäbel der Meisen länger geworden. Das ist keine Entwicklung an sich, sondern liegt daran, dass jene Meisen, die längere Schnäbel haben, besser an Futter kommen. Das wurde in London beobachtet, wo Maisenkästen anders als in Kontinentaleuropa sehr populär sind. Die Meisen mit den kürzeren Schnäbeln verhungern, weil sie einen Nachteil gegenüber denen mit langen haben. Und so begann auch das Zeitalter der langen Schnäbel.

Am Anfang bemerkte das kaum einer. Die Wissenschaft beschäftigte sich mit anderen Dingen. Mit Aids, der Kernfusion oder der Erzeugung klimaneutraler Energien. Dort lagen Verheißungen, von deren Glanz Ornithologen nicht einmal träumen konnten. Jetzt aber, wo das „Niemehrmorgen“ vor der Tür steht, die Zeit bald enden und die Zukunft abgeschafft wird, wird das gänzlich anders sein.

Björn Dahlems Skulpturen von Maisenkästen tragen Namen wie Second Earth (Caspar David Friedrich) oder An Unknown Planet in Eridanus Supervoid (Claus). Zunächst einmal sind es schöne Gegenstände – ästhetische Orte von einem schönheitsbewussten Geist geschaffen. Es spiegelt, es funkelt, glatte Oberflächen wechseln sich mit Gitter und Wabenstrukturen ab, als hätten eine KI, eine Architektin und die Natur selbst sie erschaffen. Und in alledem befinden sich unter anderem ein Wurmloch, ein Paralleluniversum und eine Zeitmaschine in einem Uhrenkasten. Die Installationen selbst sind Wurmlöcher, die Fantasie mit Fiktion verbinden, Blade Runner mit Quantenphysik.

Es sind verspielte aber trotzdem sinnvolle Orte. Dahlem entwirft eine Architektur der Zukunft, und zwar gleich in zwei Formen. Einmal weil es die Architektur der Zukunft ist, also die Räume, die in der Zukunft bewohnt werden. Und zum anderen entwirft er den Raum der Zukunft selbst.

Copyright the artist; Sies + Höke, Düsseldorf; Photo Tino Kukulies, Düsseldorf
Copyright the artist; Sies + Höke, Düsseldorf; Photo Tino Kukulies, Düsseldorf
Copyright the artist; Sies + Höke, Düsseldorf; Photo Tino Kukulies, Düsseldorf
Copyright the artist; Sies + Höke, Düsseldorf; Photo Tino Kukulies, Düsseldorf
Copyright the artist; Sies + Höke, Düsseldorf; Photo Tino Kukulies, Düsseldorf
Copyright the artist; Sies + Höke, Düsseldorf; Photo Tino Kukulies, Düsseldorf

About Björn Dahlem

Björn Dahlem makes sculptures out of simple materials based on astronomical phenomena, creating poetic images of cosmic landscapes.

Artworks

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