Andi Fischer

24. Juni – 30. Juli 2022
Sies + Höke, Düsseldorf

Copyright the artist; Sies + Höke, Düsseldorf; Photo Simon Vogel, Cologne

Text von Kito Nedo

Surfer sprechen oft von der „perfekten Welle“. Doch ist „perfekt“ wirklich das passende Adjektiv, wenn es um Wellen geht? William Finnegan jedenfalls hat da so seine Zweifel. Vor ein paar Jahren schrieb der US-Autor und Journalist ein preisgekröntes Buch über das Surfen. „Wellen sind keine unbeweglichen Objekte in der Natur. Sie sind keine Diamanten oder Rosen oder etwas, das man einfach nur anschaut.“ Stattdessen beschreibt Finnegan das Wunder der Wellen aus dem Prozess heraus, als eine „Explosion über einem Riff“, beeinflusst von Wind und Gezeiten. Die Flüchtigkeit der Wellen ist Teil ihrer Magie. Man braucht eine besondere Form der Natur-Literalität, Mut und ein Muskel-Gedächtnis, um sie mit dem Surfboard zu bezwingen.

Mit den beiden großformatigen Wellenbildern „Enorme Wirbelwelle“ (2022) und „Enorme Wirbelwelle № 2“ (2022) feiert der Berliner Maler Andi Fischer die einzigartige Mischung aus Angst, Respekt, Euphorie und Loslassen-können, die ihn beim Surfen begleitet. Interferenzen und Flächen aus Hellblau, Königsblau und Marineblau setzen sich zu einem dynamischen Moment aus dem Inneren der Welle zusammen. „Das kommt dem Gefühl vom Schwimmen in der Welle sehr nahe“ erklärt Fischer. „Ein schönes Gefühl.“ Auch Fischers Malen braucht eine anfängliche Explosion, welche die Energie freisetzt. Der Künstler trägt die Farbe mit französischen „Oil Sticks“ direkt auf die Leinwand auf. Die Sticks bestehen aus gepresster, mit Mineralwachs gemischter Ölfarbe und erlauben ihm eine direkte Ausdrucksweise. Spontanität und Schnelligkeit werden so in das Zentrum der Malerei getragen.

Neun neue, unterschiedlich betitelte figurative Bilder Fischers nehmen direkten Bezug auf die Kunstgeschichte. Als Inspirationsquelle und Basismaterial diente dem Maler das um 1530 datierte Gemälde „Das Goldene Zeitalter“ von Lucas Cranach d. Ä. welches heute zu den Bayrischen Staatsgemäldesammlungen München gehört und in der Alten Pinakothek ausgestellt ist. Fischer zerlegt die allegorische Darstellung eines Paradiesgartens in ihre Einzelteile (Menschen, Paare und Tiere) und wirft so einen zeitgenössischen, sehr reduzierten Blick auf die Bildwelt des geschäftstüchtigen wie politisch umtriebigen Alten Meisters aus Wittenberg.

Die dritte neue Bild-Serie Fischers ist schließlich einer Gruppe von anarchistischen Krähenvögeln gewidmet. Krähen begleiten den Menschen seit Urzeiten, sie eilen ihm sogar voraus. „Die Kulturgeschichte des Menschen vollzieht sich unter der Beobachtung der Krähen“ schreibt etwa der Berliner Kulturwissenschaftler und Biologe Cord Riechelmann in seiner gefeierten Krähenmonografie. „Und Krähen folgen ihr, der Kultur, wenn sie sich etwas davon versprechen können.“ Weil sich die Rabenvögel unter anderem von Aas ernähren, kommt den Tieren in der Vorstellungswelt der Menschen seit frühester Zeit eine besondere Symbolbeziehung zum Tod zu. Wie eine dunkle Vorahnung ließ etwa Vincent van Gogh kurz vor seinem Tod 1890 einen Rabenschwarm über einem sommerlichen Weizenfeld kreisen. Diese existenzielle Schwere schwingt bei Fischers Bildern untergründig mit, aber ein nüchtern-humorvoller Blick auf diese omnipräsenten, gefiederten Begleiter bestimmt die Gemälde. Vielleicht auch deshalb, weil die Vögel einem heute vorwiegend als schlaue Nutznießer der menschlichen Überflusskultur begegnen. Alpendohlen etwa scheinen sich weniger von abgestürzten Gemsen, als vielmehr von Dingen wie weggeworfenen Schulbroten auf Schulhöfen zu ernähren. Dort jedenfalls, so hört man, tauchen sie oft pünktlich auf die Minute zu den Pausenzeiten auf.

Text von Laura Wurth

Der Rabe hat ein schiefes Grinsen aufgesetzt, fast als ob er sich für das knallrote Stück Fleisch, das er im Schnabel trägt und das er irgendwo aus irgendetwas, das mal gelebt hat, heraugepickt haben muss, entschuldigen wollte: “Sorry, aber ich kann nicht anders. Ich bin nun mal ein Rabe und Raben machen so etwas halt”. Er ist nicht allein, auf den anderen Gemälden versammeln sich noch mehr Raben. Sie alle tragen ihre Beute im Maul. Man ist kurz versucht, die ganze Szenerie, die sich aus vier verschiedenen Bildern zusammensetzt, als etwas Rührendes wahrzunehmen; als kindlich anmutendes Gekrakel. Dabei ist dieses Gekrakel, sind diese Raben, die ungelenken Figuren und die nur auf den ersten Blick chaotischen Naturzeichnungen, das, was der Maler Andi Fischer der Kunstgeschichte hinzuzufügen hat. Und das ist nicht gerade wenig.

Über die Malerei hat man schon viel gesagt. Man hat sie für tot erklärt, man hat gesagt, sie würde ewig leben: Sie wurde so lange durchtheoretisiert, bis ihre Komplexität in die Ränge von Quantenphysik erhoben wurde; sie wurde als Medium als überflüssig erklärt - man könne mit ihrer Hilfe nichts mehr über unsere digital geprägte Welt erzählen. Doch trotz dieses ewigen Versuchs, sie zu dechiffrieren und ihrer Bedeutung auf den Grund zu gehen, ist man immer wieder fasziniert von Farbe, die sich auf Leinwand zu Bildern zusammensetzt. Es gab und wird immer Künstler*innen geben, die dem, was schon war, etwas hinzuzufügen haben. Etwas, das vielleicht nicht komplett neu ist, aber eine andere Perspektive auf die Kunst, aber eben vor allem auf sich selbst zulässt. So ungefähr macht Andi Fischer das. Er stellt komplizierte Verflechtungen und komplexe Gefühlslagen auf eine Weise dar, die auf den ersten Blick simpel ist. Doch Fischer vereinfacht dabei nicht. Das darf man nicht falsch verstehen. Denn gerade in der nicht perfekten malerischen Geste liegt ja die Komplexität des Menschen versteckt. Sein Verhältnis zum Fehler, zum möglichen Scheitern, aber auch der Mut, es eben trotzdem zu wagen und sich dem Leben zu stellen. Gerade weil die Figuren, die Fischer malt, eher zerknirscht, verunsichert und ein bisschen ungelenk dastehen, können wir uns vielleicht am ehesten in ihnen wiedererkennen.

Fischers Ausstellung beginnt mit abstrakten Naturzeichnungen, die aber nur auf den ersten Blick abstrakt sind. Denn wenn man sich einen Moment hineinfallen lässt, dann versteht man, dass dieses unübersichtliche Gewucher, das ist, aus dem Fischer sich herausgearbeitet hat, damit man nun umso klarer sehen kann, was er sieht. Das Gewucher geht über in großformatige Wellenbilder. Doch anstatt das Unmögliche zu versuchen und eine Welle akkurat abzumalen - was ja eh völliger Quatsch ist, weil jede Welle, so wie jeder Mensch einzigartig, ist - hat Fischer das gemalt, was er erinnert, wenn er in so einer Welle drin ist; wenn man in ihr hin und herschwappt. Entweder als Schwimmer oder auf einem Surfboard. Mit wenigen Strichen aus Ölkreide erzählt er von der überwältigenden Kraft des Ozeans. Das ist natürlich kitschig und auch nicht frei von Pathos, doch gerade das braucht es, wenn man sich dahin arbeitet, wo die großen und die wichtigen Dinge entschieden werden. Denn der Ozean ist überwältigend. Da kann man sich nicht gegen wehren. Dieses Große und Ungewisse, dem man sich da gegenübersieht, das hat Fischer vor allem durch die Leerstellen in seinem Bild ausgedrückt. Denn der Großteil der Leinwand bleibt hier weiß. Die blauen Anteile halten sich zurück und geben dem großen weißen Rauschen eher eine subtile Kontur.

In einem großen neunteiligen Bilderzyklus hat Fischer sich dem Goldenen Zeitalter, wie es Lucas Cranach der Ältere gesehen hat, gewidmet. In dem Bild “Das Goldene Zeitalter” von Cranach sieht man nackte Menschen in einem Garten, die sich an den Händen halten; Raubtiere, die miteinander spielen, anstatt sich aufzufressen; von Früchten behangene Bäume. Die Menschen tanzen, Hirsche tollen, furchtlos direkt daneben miteinander herum. Die ganze Szenerie findet hinter einer Mauer statt. Abgeschirmt vom Übel der Welt, das sich dahinter in Form von großen, grauen Bergen auftürmt. Auf einem der Berge kann man ganz in der Ferne ein Schloss auf einem Hügel erkennen. Der Mensch hinter der Mauer lebt in Harmonie mit der Natur und den anderen Bewohner*innen. Die Fragen, ob ein anderes, weniger effizienzgetriebenes Leben möglich ist, hat sich anscheinend auch schon Lucas Cranach um 1530 gestellt. Heute sind das vielleicht eher Fragen, ob man wirklich noch fünf Tage die Woche 40 Stunden arbeiten muss und will? Ob man seine Zeit nicht besser mit den Menschen verbringen sollte, die man wirklich gern hat, anstatt irgendwann seine Kollegen als Familie zu bezeichnen? Können Familien sich nicht auch aus Menschen zusammensetzen, die keinen Gen-Pool miteinander teilen? Und müssen wir uns als Gesellschaft nicht viel radikaler fragen, was wir eigentlich wirklich brauchen und was uns wirklich glücklich macht? Auch im Hinblick auf eine Natur, die immer schwerer an der Last, die wir ihr auferlegen, zu tragen hat. Die Antwort darauf lautet ganz eindeutig: Ja.

So wie die Raben halten auch die Menschen in Fischers Gemälden immer leicht zerknirscht etwas in den Händen. Bei den Raben ist es Fleisch, bei den Menschen sind es Äpfel. Doch die Geste ist die gleiche: “Sorry, kann leider nicht anders”. Natürlich kann der Mensch nicht anders, als den Apfel zu pflücken und gleichzeitig stellt sich die Frage, ob das eigentlich das Problem ist. Denn dass der Mensch und auch der Rabe nicht aus ihrer Haut können, versteht sich von selbst. Doch, was man mit den verschiedenen Naturellen und Bedürfnissen macht, wie man damit umgeht, dass alle eben sein können, wie sie sind, diese Frage stellt sich vielleicht eher.

Fischer malt schnell. Geschwindigkeit ist ein Thema, wenn er seine Arbeiten produziert. Dabei geht es zum einen um das Unperfekte, aber zum anderen auch darum, dass man nicht versucht, den Entstehungsprozess dramatisch in die Länge zu ziehen. Nichts soll hier künstlich mit Bedeutung aufgeladen werden. Alles bedeutet genau so viel, wie man bereit ist, ihm Bedeutung beizumessen. Und wenn die Figuren Fischers auf dem Boden liegen, sich Äpfel anbieten, die sie zuvor von Bäumen gepflückt haben, friedlich miteinander leben, liebevoll miteinander umgehen, die Bedürfnisse aller ernst nehmen, dann hat das viel von dem Goldenen Zeitalter, das Cranach gemalt und in das er sich in seinen Bildern hineingeträumt hat, zu tun. Denn eigentlich ist das alles gar nicht so kompliziert. Und ohne unterkomplex zu sein, bietet Fischer hier eine Utopie an, die weder naiv noch zu kurz gedacht ist. Weil sie auf reiflichen Überlegungen fußt und tief im kollektiven kulturellen Gedächtnis verankert ist.

Copyright the artist; Sies + Höke, Düsseldorf; Photo Simon Vogel, Cologne
Copyright the artist; Sies + Höke, Düsseldorf; Photo Simon Vogel, Cologne
Oilstick on canvas, artist's frame
250 x 200 cm
Copyright the artist; Sies + Höke, Düsseldorf; Photo Simon Vogel, Cologne
Copyright the artist; Sies + Höke, Düsseldorf; Photo Simon Vogel, Cologne
Copyright the artist; Sies + Höke, Düsseldorf; Photo Simon Vogel, Cologne
Copyright the artist; Sies + Höke, Düsseldorf; Photo Simon Vogel, Cologne
Copyright the artist; Sies + Höke, Düsseldorf; Photo Simon Vogel, Cologne
Copyright the artist; Sies + Höke, Düsseldorf; Photo Simon Vogel, Cologne
Copyright the artist; Sies + Höke, Düsseldorf; Photo Simon Vogel, Cologne
Copyright the artist; Sies + Höke, Düsseldorf; Photo Simon Vogel, Cologne
Copyright the artist; Sies + Höke, Düsseldorf; Photo Simon Vogel, Cologne
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About Andi Fischer

Andi Fischer is a Berlin-based artist who creates energetic paintings and drawings that simulate a child-like naiveté while being informed by art history.

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